„Welches Lied singst du jetzt, kleine Friedensglocke?“

So viel Leid, Hass und Ausgrenzung…

„Welches Lied singst du jetzt, kleine Friedensglocke?“

– ein Plädoyer für die Friedensarbeit unserer Pfarrgemeinde.

Angesichts so vieler Toter in Kriegsgebieten weltweit, angesichts von Terror, hemmungsloser Gewaltanwendung und blinder Zerstörungswut, angesichts von zahllosem Flüchtlingsleid und Menschenrechtsverletzungen, angesichts von mehr und mehr aufkeimenden „Nationalismen“, kann uns als katholische Pfarrgemeinde, die sich zusammen mit den Freundinnen und Freunden des Runden Tisches Frieden in Chorweiler für ein friedliches Miteinander in unserem Stadtteil einsetzt, die Frage nach dem `Lied der Friedensglocke` sehr unbequem stellen. Ist der Gedanke zu naiv, als Weckruf für Frieden und Wahrung der Menschenrechte ein kleines Glöckchen zu läuten? Papst Johannes XXIII. wurde nachgesagt, dass er bereit war, um des Friedens willen naiv zu sein. Wer sich mit Papst Johannes XXIII. beschäftigt, wird an zwei tragenden Säulen seines Wirkens nicht vorbeikommen, bei denen von Naivität nichts zu spüren ist – vielmehr vom Ernst des Evangeliums: Dem Zweiten Vatikanischen Konzil und seiner Friedensenzyklika „pacem in terris“. Kaum jemandem dürfte entgangen sein, dass der Namenszug dieser Enzyklika auf der Friedensglocke abgegossen ist – Gott sei Dank! Wer nun wissen möchte, welches Lied die Glocke (gerade jetzt) singt, wird bei der Lektüre von „pacem in terris“ fündig. Und wer diese Glocke läuten möchte, sollte auch wissen, was die Enzyklika sagt. Papst Johannes Paul II., der zusammen mit unserem Pfarrpatron Johannes XXIII. am 27. April 2014 in Rom heiliggesprochen wurde, richtete anlässlich der Feier des Weltfriedenstages am 1. Januar 2003 folgende Worte an die Weltöffentlichkeit, motiviert vom damals 40-jährigen Jubiläum der Friedensenzyklika pacem in terris: „Zu allen sprach die Enzyklika von der gemeinsamen Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie. Sie entzündete in allen ein Licht sehnsüchtigen Verlangens, auf dass Menschen eines jeden Erdteils in Sicherheit, Gerechtigkeit und mit der Hoffnung auf Zukunft leben. Erleuchteten Geistes wie er war, erkannte Johannes XXIII. die entscheidenden Voraussetzungen für den Frieden in vier klaren Erfordernissen des menschlichen Geistes: Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit (265-266)“

Unsere Pfarrgemeinde kann die Geisteshaltung ihres Pfarrpatrons nicht ignorieren. Motiviert von seiner Friedensvision erkennen wir die Herausforderung und Aufgabe, den Weg der Verständigung und des
Dialogs inmitten einer zerrissenen Welt mutig weiterzugehen. Wir gehen diesen Weg nicht, weil er leicht fällt, sondern weil er schwer ist – aber richtig! Es wäre allerdings traurig, wenn diese Motivation „nur“ von einem gewissen Abhängigkeitsgefühl vom Pfarrpatron herrührte. Ich bin überzeugt, dass es wichtig für unsere Pfarrei ist, gerade jetzt in der Friedensarbeit nicht nachzulassen. Eine wichtige Begründung für diese Lesart der „Zeichen der Zeit“ findet sich in einem Abschnitt aus der Erklärung des II. Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“, Kap. 5: „Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. Das Verhalten des Menschen zu Gott dem Vater und sein Verhalten zu den Menschenbrüdern stehen in so engem Zusammenhang, dass die Schrift sagt: „Wer nicht liebt, kennt Gott nicht“ (1 Joh 4,8). So wird also jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht. Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner (…) ´Herkunft`, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht. Und dementsprechend ruft die Heilige Synode, den Spuren der heiligen Apostel Petrus und Paulus folgend, die Gläubigen mit leidenschaftlichem Ernst dazu auf, dass sie „einen guten Wandel unter den Völkern führen“ (1 Petr 2, 12) und womöglich, soviel an ihnen liegt, mit allen Menschen Frieden halten (vgl. Röm 12, 18), so dass sie in Wahrheit Söhne und Töchter des Vaters sind, der im Himmel ist (vgl. Mt 5, 45).“

Das „Musikinstrument Friedensglocke“ singt also ein sehr tiefsinniges Lied vom Frieden. Und ihr Klanggebilde lässt ganz bestimmte Voraussetzungen für den Frieden anklingen. Ich finde, das ist die „große Musik“ einer kleinen Glocke. Der Musiktheoretiker Theodor W. Adorno, der den traditionellen Religionen eher reserviert gegenüber stand, hat einmal bei einer Diskussion über Offenbarung und autonome Vernunft eingestanden: „Wenn ich große Musik höre, dann glaube ich zu wissen, dass das, was diese Musik sagt, nicht die Unwahrheit sein kann!“ Übertragen auf das Lied unserer Friedensglocke dürfte so hörbar werden, dass es klare Bedingungen für ein friedliches Miteinander gibt. Und diese kann man nicht „auf stumm schalten“, wenn die Glocke geläutet wird. Die entscheidenden Voraussetzungen für den Frieden in den vier klaren Erfordernissen des menschlichen Geistes: Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit, sind immer in Gefahr missverständlich interpretiert zu werden. Daher ist eine gewissenhafte Verständigung auf diese Kernbegriffe unerlässlich, gerade im Dialog mit anderen Religionen oder Kulturen mit ihren jeweiligen möglicherweise unterschiedlichen Sichtweisen. Das ist kein leichter Weg. Manchmal wird er tiefgreifende Meinungsunterschiede offenbaren. Daher gehört zum interreligiösen und intrareligiösen Dialog ein hohes Maß an Wissen und Sensibilität für „den anderen“. Es wird hier auch nicht ohne theologische Kompetenz gehen. Der Chorweiler Abendfrieden kann vielleicht nicht immer in seinen äußerlichen Gegebenheiten in diese Tiefen hinabsteigen. Aber der Runde Tisch Frieden, der ihn mitträgt und der die Allgemeine Chorweiler Friedenserklärung formulierte, weiß um diese große Chance. Wie heißt es in der Friedenserklärung?

„Der „Runde Tisch Frieden“ setzt mit dem „Chorweiler Abendfrieden“ und dieser Erklärung ein gemeinsames Zeichen für ein friedliches, soziales und menschenwürdiges Zusammenleben aller Menschen auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und Akzeptanz.“ Das sind ganz andere Töne, als sie derzeit vielerorts weltweit zu hören sind! Und sie sind unmissverständlich! Sie laden zum weiteren Dialog ein! Im Dialog miteinander, wie er auch durch den Runden Tisch Frieden ermöglicht wird, kann nämlich jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin einerseits ein Zeugnis seines, bzw. ihres Glaubens geben, andererseits aber auch beim Zuhören die „fremde“ religiöse (oder kulturelle) Tradition und Überzeugung respektvoll wahrnehmen“.1 Es kommt – wie so oft – auf den Ton an, der die Musik macht. Wer bei einem Dialog auf gleicher Augenhöhe argumentativ etwas vorzubringen hat, darf das also so nachdrücklich wie möglich, aber so ruhig wie nötig tun. Einen konstruktiven und vertrauensvollen Dialog zu verhindern, ist eines der perfiden Ziele des Terrorismus! Wenn er z. B. das Ziel verfolgt, Religionen gegeneinander aufzuhetzen und auszuspielen und Schwarz-Weiß Bilder in die Köpfe der Menschen einzugraben, die nur Ablehnung und Hass zur Folge haben, dann gilt es, besonders hellhörig zu sein! Hilfreich ist hier die Haltung von Papst Franziskus. Wenn sich der Papst weigert, wie 2016 beim Weltjugendtag in Krakau, z. B. den Islam mit Hass und Gewalt gleichzusetzen, ist er nicht naiv, sondern er sieht voller Realismus und Klarheit, dass die große Mehrheit der Muslime ihren Glauben friedlich lebt und sich mit Christen solidarisch verbunden weiß“, so sagte es der Leiter des Instituts für Katholische Theologie der Universität Paderborn, Klaus von Stosch, in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am 8.8.2016.

Vielleicht kann die Friedensglocke allein schon in ihrem äußeren Erscheinungsbild „versöhnlich“ stimmen und eine gute Wegbegleiterin des Dialogs sein. Darauf wies bei ihrem Guss der Glockengießer Bruder Michael Reuter OSB hin: „Das Thema Frieden aufgreifend wählten wir (nämlich) ein Glockenprofil, das exemplarisch die Mühe um das Miteinander verschiedener Völker und die boshafte Zerstörungskraft intoleranter Ideologien symbolisiert. Dieses Glockenprofil, welches unter Fachleuten in die Kategorie „Französische Rippe“ eingeordnet wird, verfügt – für die damalige Zeit – über eine erstaunlich exakte Innenharmonie. Diese Rippe stammt aus der ehemaligen Glockengießerschule in Brilon (Sauerland) und war im Rahmen der Ausbildung dem südfranzösischen Glockengießer Garnier zur Verfügung gestellt worden. Den Nationalsozialisten war das Anlass, die Schule wegen „Bekanntgabe deutschen Kulturgutes an den Erbfeind“, zu schließen. Natürlich stand in Wirklichkeit Kirchenkampf dahinter.“

Beim Versuch, dem Frieden unter den Völkern und Nationen einen gangbaren Weg zu bahnen, darf man nochmal Papst Johannes Paul II. mit Auszügen seiner Ansprache vom 1.1.2003 anlässlich des 40jährigen Jubiläums der Enzyklika „pacem in terris“ zuhören:

„Bei einer gründlichen Betrachtung der Dinge ist zu erkennen, dass der Friede weniger eine Frage der Strukturen, als vielmehr der Personen ist… Friedensgesten sind möglich, wenn Menschen die Gemeinschaftsdimension des Lebens voll zu schätzen wissen, so dass sie die Bedeutung und die Folgen begreifen, die bestimmte Ereignisse auf ihre Gemeinschaft und auf die Welt insgesamt haben. Die Religion besitzt eine lebenswichtige Rolle beim Anregen von Friedensgesten und bei der Festschreibung von Voraussetzungen für den Frieden.“

Nichts anderes hat unsere Pfarrgemeinde im Vertrauen auf die Fürsprache ihres Pfarrpatrons mit dem Friedensfest und dem Guss der Friedensglocke gewagt. Wenn unsere Friedensglocke ihr Lied singt, dann gleicht ihr Klang einer sehr umfangreichen und tiefsinnigen Rede. Sie ist klar und deutlich. Wir dürfen die Glocke nicht schweigen lassen! Denn „jede Rede gleicht der Belagerung der Seele des Hörers“, wie Johannes Chrysostomos sagt. Wenn ich der Rede unserer Friedensglocke zuhöre, dann glaube ich in Anlehnung an Adorno „zu wissen, dass das, was diese Musik sagt, nicht die Unwahrheit sein kann.“

Möge das Lied der Friedensglocke auch weiterhin ihre Hörer und diejenigen, die sie läuten, über die Schwelle bringen zur Konzentration auf das Wesentliche: auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit.

 

1 Vgl. DBK –Arbeitshilfe »Leitlinien für das Gebet bei Treffen von Christen, Juden und Muslimen«, Bonn 2008.